Weitgehend von der Kunstkritik unbemerkt war Peter Janssen allzu wenig
in Museen vertreten - gar nicht in Berlin, wohin er 1957 von Düsseldorf aus als Professor
berufen wurde, auch mit Ausstellungen ist er nicht verwöhnt worden. Dennoch oder
vielleicht gerade deshalb ist er mit dem wichtigsten, was ein Maler tun kann, mit Malen
beschäftigt.
,,Verlorene Generation", das schien mir immer zu passen und
scheint es noch, das sind die um 1910 geborenen Künstler. Künstlertum ist in besonderer
Weise mit der Lebensuhr - auch der biologischen Lebensuhr - verknüpft; Thomas Mann hat
vom Künstler gefordert, daß er auf allen Lebensstufen charakteristisch fruchtbar sein
soll. Gewiß, gewiß, - es gibt die Frühvollendeten: Masaccio starb mit 26 Jahren und
Franz Marofiel mit 36 vor Verdun; und es gibt die Späten: Tizian begann vielleicht erst
mit 40 zu malen, malte dann aber fast 60 Jahre lang. Doch wir reden vom Normalfall, obwohl
der Künstler natürlich gerade nicht der ,,Normalfall" ist.
So um die 25 hat ein Künstler seine Studienzeit beendet und beginnt
sich von den Lehrern zu lösen; erste Ausstellungen in kleinen Galerien und knappe
Kritiken geben Hoffnung, dann, im Glücksfall, kommt das Sich - Durchsetzen und Bekannt -
Werden, der eigene Stil ist geprägt und mit dem Namen verknüpft, ein Museum kauft, die
große Einzelausstellung in der renommierten Galerie bringt den Katalog, es folgen
Professur und Einfluß, Schüler und Wirkung, kurz, alles, was heutzutage ,,Künstlers
Erdenwallen" ausmacht.
Der Künstlergeneration, die im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts
geboren wurde, deren geistiges Erwachen mit dem Ende des Expressionismus zusammenfiel, war
dieses, wenn sie nicht auf den Spuren der Schultze-Naumburgs und der Breekers und der
Raphael Schuster-Woldans wandelte, nicht beschieden. Gerade die von der besten Art fanden
sich plötzlich als Entartete.
1933 war Peter Janssen 27 Jahre alt, war also dabei, sein
eigenständiges Künstlerleben zu beginnen. 1923 hatte Janssen die Düsseldorfer Akademie
besucht und bei Heinrich Nauen, bei Jan Thorn-Prikker und Karl Ederer gelernt.
Durch Heinrich Nauen, der 1880 in Krefeld geboren wurde und 1940 in
Berlin starb, der tätig war in Flandern, in Berlin und in Düsseldorf und zeitweilig der
Brücke zugehörte, ist Janssen mit der großen Aufbruchskunst des Expressionismus
verbunden. Dem Expressionismus ist er auch auf die direkteste Weise zugehörig durch Jan
Thorn-Prikker, seinen und des 17 Jahre älteren Heinrich Campendonk Lehrer, der
seinerseits der Lehrer des Freundes Gabriel Schrieber war. Es ist nützlich, sich
klarzumachen, daß ein sehr gegenwärtiger Künstler so unmittelbar mit der großen
Sonderleistung der deutschen Kunst in diesem Jahrhundert, eben mit dem Expressionismus,
verknüpft ist.
Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, ,,das Problem der
Generation", um mit Wilhelm Pinder zu reden, wird hier aufs erstaunlichste, ja, fast
aufs erheiterndste, weil geradezu auf die unglaubwürdigste Weise zur Anschauung gebracht.
Von 1926 bis 1930 war er in Paris und ging von dort für sieben Monate
nach Rom. Er hatte sich also umgetan im Gegenwärtigen und im Vergangenen. Thorn-Prikker
hatte auch nicht nur die älteren Zeitgenossen, van Gogh und Cezanne, als Idole
vorgestellt, sondern auch die Meister der Frühzeit: Giotto und Fra Angelico.
Seit 1933 entsprach der Rheinländer nicht mehr den
Herdbuchvorschriften der Übermenschenzüchter die, als sie 1945 bankrottierten, weder wie
Männer noch wie Herren abtraten. Er durfte deshalb nicht einmal als Soldat zu überleben
versuchen.
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Die Albträume und Labyrinthe dieser Jahre sind ihm zu einer unsagbaren
Zeit verrottet, unsagbar bis auf das eine Wort für diese zwölf Jahre: da war er, so sagt
er:,, ein Abwesender". |
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Wer Sprache versteht und die Geschichte dazu, der weiß, daß dies mehr
ist als ein literarischer Kafkaismus, sondern daß Zorn und Trauer, Ermüdung und
Aufbegehren dieses Schlüsselwort für den Lebensverlust gefunden haben. Der schreckliche
Wahnsinn, jemandem seine Volkszugehörigkeit streitig zu machen, ist bei Janssen besonders
absurd, denn seine Familie entstammt dem blauäugigsten Winkel unseres Landes, sie kommt
aus Ostfriesland.
Die direkte Herkunft aus großbürgerlichem Hause- der Vater war
Chirurg, ein Onkel Philosophieprofessor in Münster - wird hintergründet von der
Künstlersippe der Janssens.
Der Urgroávater, Theodor Janssen, Maler und Kupferstecher, 1816 in
Jübberde in Ostfriesland geboren, trat 1835 in die Düsseldorfer Akademie ein und wandte
sich im Konflikt mit dem Direktor Wilhelm Schadow, dem Sohn des großen Berliner
Bildhauers, von der Historienmalerei ab und dem reproduzierenden Kupferstich zu. Er
heiratete die Schwester des Malers Johann Peter Hasenklever, eines Vorfahren des
expressionistischen Dramatikers, dessen Portrait zu den faszinierendsten Frühwerken
Kokoschkas gehört.
Dieser Theodor Janssen hatte zwei Söhne: Der jüngere, 1855 geborene
Karl wurde ein fruchtbarer Bildhauer, von dem Denkmäler, Brunnen und zahlreiche Portraits
überliefert sind er war der Schüler seines Bruders Peter Janssen, 1844 geboren, eines
Freskomalers in der Nachfolge von Cornelius und Rethel- mit der Familie Rethel-Sohn blieb
eine Familienfreundschaft mit den Janssens. Unter den vielen monumentalen Wandbildern
seien hier nur die drei im Kriege zerstörten Schlachtengemälde des Berliner Zeughauses
erwähnt. Dieser Peter Janssen also ist der Großvater unseres Malers Peter Janssen.
Die Caprice beider Friesengroßväter, Jüdinnen zu heiraten, erzürnte
zwei Generationen später die neuen Germanengötter mit den Gesichtern von Himmler und
Goebbels.
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Es gibt in dieser Ausstellung nur wenige
Portraits und nur
ein
Selbstportrait von 1964/65,
das auch dem, der von Herkunft und Schicksal
des Malers nichts
weiß, sehr präzise Auskunft
erteilt. |
In das rechte untere Bildviertel hineinverloren, vor der raumlosen
Unendlichkeit eines dunklen Grundes, den oben ein schmaler Blaustreifen an die
Wirklichkeit anschließt, und eingespannt zwischen diesen und den
Komplementärfarbenfetzen am unteren Bildrand, leuchtet ein Gesicht von magischer
Sinnlichkeit entgegen, dessen Sensibilität auf den derb-plastischen Knochenbau eines
Bauernschädels aufgetragen ist: ein physiognomischer Entwurf, der alle nur denkbaren
Lebens- und Schicksalskonflikte enthält. Mit einem solchen Kopf hat man kein leichtes
Leben.
Das malerische Lebenswerk des Peter Janssen ist nicht so leicht als
konsequenter Entwicklungsgang zu begreifen. Wie sollte es das auch sein nach einem solchen
Lebensgang?
Man könnte Werkgruppen isolieren und vorgeben, sie gehörten ganz
verschiedenen Künstlern an. Wo findet man den Schlüssel zu diesen Schriftzeichen?
Ein sehr vertrackter Autor unserer Sprache, den man den ,,Magier des
Nordens" genannt hat, wurde von einem seiner seltenen Leser, von Ernst Jünger, so
beschrieben: ,,Hamann denkt in Archipelen von submarinem Zusammenhang".
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Ich glaube, daß dies auch der Schlüsselbegriff für Janssen sein
kann. Epochen, Werk- und Chiffrengruppen tauchen als Inseln, als flüchtige und auch als
bleibende vulkanische Bildungen aus einem unterseeischen Festlandsockel auf, und es ist
gewiß kein Zufall, daß
Vulkanisch-Eruptives
auch immer wieder als Bildmotiv vorkommt. |
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Das Seismische, das Geologische, prägt sich in
einem Schlüsselmotiv aus, in dem des Horizontes.
In allen Bildern, bis auf diejenigen einer Sondergruppe, den
Grisaillen, ist der Horizont als zwingende Bezugsebene für den Betrachter mit
unabweisbarem Anspruch dargestellt und selbst im Interieur als Raumkante unabweislich vor
Augen gestellt.
Niemals hat Janssen einen ausgleichenden Mittelweg angestrebt, sondern
sich immer an den gefährlichen Endpunkt der Wege angesiedelt:
Saugende Tiefenflucht einer Raumillusion oder asketische
Flächenhaftigkeit; sprühende, ,,malerische" Farbigkeit oder karge Reduktion auf die
,,reine" Farbe; bewegte, flimmernde Wirklichkeit einer erlebten Welt oder zur
Signalsprache geronnenes Ornament; die seltene Menschendarstellung - ich nenne hier
besonders seinen
jugendlichen Picasso
mit seinen aggressiven Toreroaugen - oder der Mensch als Chiffre in Gestalt eines einsamen Hutes, der auf Tisch oder Balustrade
emblemafisch - symmetrisch - ornamental dahingehend, seinen hinweggegangenen Träger
symbolisiert: eine Chiffre der Einsamkeit.
Bei diesen zum Äußersten reduzierten Emblemen möchte man von einer
hell-bewußten Naivität sprechen.
Seit 1955, seit den Reitern über Guadix und dem Don Quichote von 1956
werden bis etwa 1963 Grisaillen erprobt, "äußerste Reduktionen der malerischen
Mittel, bei denen das Schwarz und das Weiß auf ihre Farbigkeit erprobt werden. Es ist
kein Wunder, daß Spanien das Motiv ist, die Heimat der größten Schwarz-Weiß-Maler:
Velazques und Picasso.
Der Süden, das Mediterrane, erscheint als Grunderlebnis fernab von
Tourismus, Folklore und klassischer Deutschensehnsucht in seiner Härte des
phrasenlosen Alltags. Autos halten geradlinig an der Kreuzung, Passanten marschieren
geradlinig hinüber, ein Süden, der die Faszination einer ungeschwätzigen Nüchternheit
ausstrahlt.
Weiter in der Emblemensprache:
Das Schiff als geradlinig fern
ziehende Transportmaschine, als brennendes Katastrophending, als steifes
Rettungsboot mit schweigender Besatzung oder das Hauptemblem:
der Kreis, die
Kugel, in
immer neuen Gegenstandsformen versteckt: als Gestirn und Geschoß, als Bullauge und
Seifenblase, als Apfel und Baumkrone, als giftige
Chemiewolke wie als brüderliche
Pflanze. Hier wird die ganze Breite der Ausdrucksmöglichkeiten eines der vornehmsten der
platonischen Körper erprobt, der noch in den Kugelsegmenten der Melonenscheiben zitiert
wird.
Mir will scheinen, daß man die Widersprüche dieses Werkes verstehen
kann als den niemals entschiedenen Kampf zwischen einer eruptiven Vitalität, animalisch
und männlich, und dem Drang, dieses Naturgeschehen geistig zu bändigen, es in
hieroglyphische Zeichen zu verwandeln, die aus dem auferzwungenen Lebensschicksal geheimen
Sinn herausdestillieren sollen. Sie geht auf dem schmalen Grat zwischen Trivialität und
Esoterik, immer gefährdet, nie sicher auf breiter Straße und kann nur geliebt oder nicht
beachtet werden.
Ich fordere Sie auf, das hier Gesagte vor den Bildern zu überprüfen,
wenn es Widerspruch erfährt, so wäre es den Kunstwerken angemessen.
Prof. Dr. Martin Sperlich