Gert Winkler 19. Juni 1977
Vom Recht, die Bilder und Zeichnungen des Peter Janssen zu lieben, darf niemand bei
zwingenden Gründen ausgeschlossen werden.
Es hat wirklich nicht viel Sinn und Wirkung, mehr zu sagen, als man weiß. Jedes
Übermaß, davor warnten schon unsere Klassiker, bestraft sich selbst. Zu oft versagt die
Sprache bei der Beschreibung der Kunst. Definieren läßt sich die Malerei gewiß auf die
vielfältigsten Weisen. Für mich am klarsten und ehrlichsten im allerhöchsten Genuß.
Dazu bedarf es natürlicher-weise der Liebe. Jawohl: ich bin durchaus bereit und imstande,
heute und letzt, hier, da und dort, Bilder zu lieben! Meine Liebe zu Bildern ist nicht
eine vorübergehende Laune. Auch keine Dummheit, die man zu zweit begeht. Das ist so: Ich
sage: "Guten Tag, Peter!" Und nach ein paar Minuten stehe ich im Atelier. Die
anderen sitzen noch beim Tee. Ich schaue ein Bild an. Ich setze mich auf den kleinen
Hocker. Und wenn ich jetzt, während ich diese Zeilen am 19. Juni 1977, vormittags um halb
elf beginnend, in die Maschine tippe, zurückdenke an eine solche Begegnung und mich
frage: wie war das genau? - dann fiele es mir nicht leicht, meine Empfindungen
wiederzugeben. Ich könnte mitteilen, welchem Bild ich mich hingab, wie groß die Lust
war, die Farben zu genießen, was darauf war, welche Reaktionen es in mir auslöste. Ich
könnte eine komplette Geschichte daraus machen. Ich könnte eine gewisse therapeutische
Komponente herausarbeiten. Ich könnte einen großen, weiten und schönen Traum schildern,
der mir erst später zufiel - bei offenen Augen kurz vor dem Einschlafen. Ich könnte
tatsächlich hineintauchen in die Welt meines Freundes Peter Janssen und sehr Geheimes
ausbreiten; denn ich weiß einiges aus erster Hand und Quelle, was vielleicht andere nicht
wissen. Ich könnte allerlei Querverbindungen anstellen, Zusammenhänge aufzeigen und
vergleichen - wie manche Verliebte das tun! Ich könnte mir einreden, dieses und jenes sei
logisch. Ich könnte mir einreden, das Thematische des Bildes sei gleichzeitig die
Hauptsache und die Nebensache - ganz wie man will! Es ist überhaupt die Frage, ob das die
geeignete Methode für eine Interpretation eines Werkes. Und eben dieser Satz signalisiert
mir, daß ich jetzt zu zögern habe. Denn: ich müßte doch sehr Intimes preisgeben. Und
vielleicht würde ich (für Sie und für mich) eine Geschichte zerstören. Deshalb
beschließe ich jetzt, punkt elf Uhr, eine Tasse Kaffee zu trinken. Möglicherweise
gelingt es mir in einem zweiten Anlauf, dem Maler, Zeichner, Lehrer und Freund Peter
Janssen gerechter zu werden.
Die persönliche Eigenart des Peter Janssen, seine persönlichen Elemente, sein Stil
- das erschloß sich mir gleich zu Beginn. Ben Wargin stellte die Verbindung her. Danach
kam langsam eine Freundschaft in Gang. Doch auch Skepsis war da - nicht von meiner Seite.
Wie war das? Ich hatte in einer Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes Janssen-Bilder
gesehen. Besonders das Bild mit dem Titel "Begegnung unter 2 Sonnen" hatte ich
mir wiederholt angeschaut: Eine fast symetrische Bildkomposition mit - glaube ich - vier
männlichen Figuren und einer Frau. Die Männer waren - glaube ich - Mönche, mit breiten,
runden Kopfbedeckungen. Sie gingen - glaube ich - irgendwie im Kreis umher. Und richtig:
diese Menschen befanden sich in einem Kreis - oder war es ein Oval? Hinten war ein
Horizont, darüber Wolken. Und über dem Oval die beiden Sonnen. Wessen Sonnen? Janssen's Sonnen, selbstredend! Da nimmt sich einer die Freiheit und malt zwei Sonnen. Da nimmt sich
einer die Freiheit und malt einen Hut! Da nimmt sich einer die Freiheit und malt ein
Schiff auf dem Rhein!
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Wo bleibt die Skepsis? Es war so: Ich selber galt - was die Bildende
Kunst betrifft - als einer, der sich mit Haut und Haar der sogenannten Avantgarde
verschrieben hatte, der sehr für die Nullsituation der Zeroleute eingetreten war. Und nun
sollte ich auf einmal Bilder wie die von Peter Janssen mögen? - Das konnte und wollte der
kluge und weise und so welterfahrene Herr nicht recht glauben. Mir kam es nun darauf an,
Janssen von der Aufrichtigkeit meines Engagements für seine Arbeiten zu überzeugen. Und
dieses gelang mir vermutlich am 17. Oktober 1975. An diesem Tag nämlich eröffnete ich
für ihn eine große Asusstellung in Nordhorn. Damals begann ich - das weiß ich noch
recht genau - meine Ansprache mit dem sehr stimmigen Satz: "Wer keinen Kopf hat,
bekommt nie einen Hut!" Ich biß mich also am Hut fest, der die Tür aufstieß zu
unzähligen Einfällen und Geschichten. Ich schilderte zunächst vier oder fünf
Hut-Bilder von Peter Janssen und kam wohl auch auf die Ironie und den Humor zurück. Jetzt
liegt, links neben meiner Schreibmaschine, der Janssen-Katalog des Neuen Berliner
Kunstvereins vom Mai 1976. Dort gibt es einen wundervollen Dialog von Karl Ruhrberg,
Eberhard Roters und Ben Wargin. Roters befaßt sich darin u.a. auch mit den Hut-Bildern
und vergleicht Janssen mit einem Zauberkünstler. Das ist recht zutreffend. Aber: Da ist
ein Zauberer an der Staffelei und am Zeichenblock, der mit offenen Karten spielt - fast im
Stande malerischer Unschuld. Hier findet sich eine ernste Alternative zu allen rasch
hochgeschossenen Eskapaden in der Kunst, zu allen krampfhaft herbeigebogenen Modernismen:
Eine reine, schöne, klare, poetische Malerei - ohne hochstaplerische Absichten. Diese
Malerei st so und könnte nicht anders sein! Diese Malerei ruht in sich und kann nie aus
den Fugen geraten! Diese Malerei holt die Wirklichkeit von Tagträumen zurück in den
banalen Alltag! Janssen - das ist wie wenn man ein Fenster dreimal öffnet. Janssen - das
ist wie wenn man mit trockenen Füßen über einen Fluß geht. Janssen - das ist wie wenn
man von zwei Sonnen beschienen wird. Janssen - das ist wie wenn man auf einem Apfel
spazieren geht.
In einem Brief vom 29. Juni 1977 schreibt mir Peter Janssen: "Die Aquarelle und
Zeichnungen habe ich noch nicht gezeigt." Da malt und zeichnet und aquarelliert einer
wohl über vierzig Jahre und hält soviel Erlesenes zurück. Denn: Da tut sich eine neue
Welt auf. Einmal holte auf unser Drängen Peter Janssen's Frau Mappen und Stöße von
Blättern aus den Schubladen. Vielerlei Formate. Und eins fiel sofort auf: Da gibt es die
sogenannten "Vorstudien" im klassisch-akademischen Sinn. Und da gibt es
"Vollendetes", gleichwertig mit den Leinwandbildern.
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Und: Kühnes, nahezu
abstrakte Zeichnungen z.B. aus den frühen fünfziger Jahren, die einiges vorwegnehmen,
was hinterher üblich wurde - eine zeichenhaft bedeckte Fläche etwa.
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Und auch da bleibt
immer jener Spielraum offen, der uns die Frage aufdrängt, wie er denn das mit den Farben
gemacht habe. Wenn man ihn danach befragt, dann antwortet Peter Janssen mit entwaffnender
Offenheit: Das sei das Geheimnis seines Malwassers.
Einmal nahmen wir für eine Fernsehsendung einige Kinder, zehn bis zwölf Jahre alt,
mit zu Peter Janssen ins Atelier.
Sie ließen sich dort auf dem Fußboden nieder und
stellten Fragen. Wie es denn komme, daß er
blaue Bäume male? Da sagte der weise Mann auf
seinem Atelierhockerchen: "Du bist ein junger Mann, Du hast alle Freiheiten.
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Du
kannst machen was immer Du willst. Du kannst blau nehmen oder rot. Du kannst malen wie Du
willst. Nur am Ende, da muß es einigermaßen stimmen. Und es stimmt einigermaßen, wenn
Du ein bißchen daran glaubst."
Da fällt mir ein, daß man sagt: Rousseau wollte in Wirklichkeit ganz anders malen,
was ihm aber nie gelang. Janssen will mit Sicherheit nie anders malen als er es tut. Malen
ist für ohn höchstwahrscheinlich: Alles vergessen, was er je gesehen hat und dann das
Schiff besteigen und den Fluß hinauf oder hinunter fahren - ganz wie es beliebt! Guten
Tag sagen und Kapitän sein. Kapitän einer Malerei, die zwar auch ihre kleinen
Katastrophen beinhaltet, die aber aus eigener Kraft (sind's die Farben? Sind's die Motive?
Ist's die Meisterschaft der Pinselführung?) nach vorwärts treibt. Es ist bestimmt schon
vielen Leuten aufgefallen, daß Schiffe und
Flugzeuge in der Bildwelt des Peter Janssen
eine große Rolle spielen.
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Das sind bekanntlich zwei Klammern, die in der Kindheit eines
fast jeden Menschen bedeutsam sein können. Hier ist, scheint es, einer, der seine
Kindheit mit hinüber ins Alter gezogen hat. Vielleicht hält er sich dadurch jung. Denn:
Janssen - das ist auch so etwas wie "ewige Jugend!"
Und daß gerade junge Leute
seiner Faszination erliegen, das mag darin begründet sein, daß Lug und Trug so unendlich
ferne sind, daß jedermann unter dem Zauberhut langen kann, um nachzuschauen, ob Äpfel
darunter liegen oder zwei Sonnen.
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Guten Tag, Peter Janssen! Viel Glück und Erfolg
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