Eine ganz andere Aufgabe hat wohl das erste Bild an der Westwand: "Sophie von Brabant läßt die Marburger Heinrich dem Kinde huldigen. 1248". Der historische Hintergrund ist das glückliche Ende eines hessisch-thüringischen
Erbfolgestreits. Seit dem Jahr 1248 mußte der Nachfolger des Landgrafen von Thüringen auf seine im Westen gelegenen Gebiete verzichten.
Der Enkel der heiligen Elisabeth wurde Landgraf des neu entstandenen Hessen.
Die Prozessionsfahne rechts im Bild mit dem Abbild der heiligen Elisabeth
steht symbolisch für die Legitimität des Aktes. Dieses in der Darstellung
fast plebiszitär anmutende Ereignis hat Janssen in Hinsicht auf den
Bildaufbau und die individuelle Zeichnung der freudig bewegten Menge
geschickt gelöst. Wieder verweisen viele maltechnische Einzelheiten diagonal
auf den ideellen Mittelpunkt, auf die links hinten hochaufgerichtet stehende
Fürstin mit dem Kind. Nicht nur Architekturteile (Mauer, erhöhte Stufen,
Dachfirste) laufen auf sie zu, auch die jubelnden Marburger schauen mit dem
Betrachter auf Mutter und Kind.
Die gereckten Schwurhände sollen sicherlich nicht nur die Begeisterung für
die Dynastie zeigen, sondern passen kompositionell in dieses Konzept. Eine
scheinbare Gegenbewegung bilden nur die weiße Fahne mit dem Marburger Reiter
und das Panier des Deutschen Ordens am rechten unteren Bildrand, der durch
den Spitzbogen der Aulatür beschnitten ist. Die dramatisch geschwenkte Fahne
lauft in einer Spitze aus, die unmittelbar auf das der Menge präsentierte
Kind hinweist. Versucht man, in diesem Bild mehr als nur ein Ereignis aus
der hessischen Landesgeschichte zu sehen, muß man auf die den Marktplatz
umsäumende Architektur eingehen: Ein großes Fachwerkhaus, eine romanische
Kirche mit hohem Turm, ein Steinhaus, fast eine Burg, mit einem Bogenfenster.
All diese Gebäudeteile zeigen kaum den Marburger Marktplatz, sondern eher
eine typische mittelalterliche Stadt. Genau so wie auf dem Ordensritterbild
und später auf dem Reformatorenbild kam Janssen den Vorstellungen der
Zeitgenossen vom Mittelalter entgegen, weniger denen der Marburger, die
einen deutlicheren Bezug zu ihrer Stadt durchaus wünschten. Nicht nur in der
Malerei, auch in der Architektur, der offiziösen Literatur, der
Inneneinrichtung der Repräsentativbauten bis hin zu den Möbeln in den
Wohnungen des Bürgertums suchte man die Anknüpfung an das zu Anfang des 19.
Jahrhunderts wiederentdeckte Mittelalter. Ein Architekturgemisch, Zitate aus
Nürnberg, Goslar, der Wartburg und Köln lagen da in der Assoziation eines
Düsseldorfer Malers und eines Berliner Geldgebers wohl näher als ein
unbekanntes Marburg. Gerade die Wartburg bot sich als Vorbild für die
Gestaltung der Aula an. Dort hatte man seit der Mitte des 19. Jahrhunderts
Räume im neogotischen Stil dekoriert. Die Renovierungsarbeiten, die relativ
bescheiden mit den Fresken Moritz von Scbwinds begonnen hatten, gipfelten in
dem goldprunkenden, byzantinisierenden Mosaikenzyklus der
Elisabeth-Kemenate,
der im gleichen Jahr wie die Marburger Aulabilder entstanden ist. Gemessen
daran wirken die Mittelalterzitate Peter Janssens zurückhaltend.