Mit dem zweiten Bild, "Kaiser Friedrich II. entläßt nach Preußen
ziehende Deutsch-Ordensritter. 1230", ruft Janssen dem Betrachter eine
Szene in Erinnerung, die auf den ersten Blick für Marburgs
Stadtentwicklung und für die Geschichte des Deutschen Ordens von
größer Wichtigkeit zu sein scheint. Nach dem Tod der verwitweten
Landgräfin Elisabeth 1231erhielt ihr Schwager Landgraf Konrad für den
Deutschen Orden 1234 von Papst Gregor IX. das Recht der Betreuung des
Grabes der Elisabeth und erreichte 1235 deren Heiligsprechung.
So konnte der Orden nach der Zusicherung eines Ablasses mit dem Bau einer
großen Kirche und eines Klosters vor den Mauern der Stadt beginnen. Marburg
wurde damit für einige Zeit zum Mittelpunkt des Ordens und zu einem der
großen Wallfahrtsorte Europas. Kaiser Friedrich II. kam 1236 zur feierlichen
"Erhebung" seiner Verwandten nach Marburg und benutzte die Heiliggesprochene,
die bis zu ihrem Tod gerade von Konrad, ihrem Schwager, gemieden worden war,
als eine Art Reichsheilige zur Stärkung der kaiserlichen Größe. Aber nicht
der feierliche Augenblick der verbürgten "Erhebung" ist dargestellt, sondern
ein durch nichts belegter Vorgang. Denn schon 1226 und nicht etwa in Marburg
1236 hatte der Kaiser dem Orden eine Stellung in Preußen garantiert, die der
eines Reichsfürsten gleichkam. Der polnische Herzog Konrad von Masowien
hatte sich zuvor (1225/26) an den Deutschen Orden mit der Bitte um
Unterstützung gegen die Preußen gewandt.
Auf dem Bild werden zwei Szenen eines Ereignisses gleichzeitig festgehalten:
Ordensritter zu Pferd im schwarzen Gewand mit großen cremeweißen Mänteln und
ihr malerisch gekleideter Troß zu Fuß ziehen von rechts vorne nach links
hinten zum Tor hinaus, ein Aufbruch zur großen Reise gen Osten. Die Szene,
die den ideellen Bildmittelpunkt bildet, auf den viele Linien hinführen,
spielt sich auf einer teppichbelegten Treppe in einem Burghof ab: In einer
fast theatralischen Pose, dem Betrachter zugewandt, verabschiedet Kaiser
Friedrich II. mit Handschlag einen stolz und herrisch aussehenden
Ordensritter -stellvertretend für alle zum Kampf Ziehenden - und unterstützt
diesen Handschlag, indem er mit der anderen Hand in einer angedeuteten
Sendungsgebärde die Schulter des Ritters berührt. Dieser nimmt die Geste
auf, indem er seine freie linke Hand an die Brust legt. Aus diesem Bündnis
Friedrichs mit dem Ordensritter"entspringt" förmlich ein Panier mit dem
schwarzen Reichsadler auf goldenem Grund, dem Adler, den der staufische
Kaiser an seine zahlreichen Burgen als Symbol seiner Macht anbringen ließ.
Wie wichtig dieses Reichssymbol für Janssen war, erkennt man außerdem daran,
daß die ausziehenden Ritter emphatisch auf das Zeichen des Kaisers mit
ausgestrecktem Arm hindeuten, was den effektvollen Faltenwurf eines weißen
Mantels bewirkt, oder mit der rotbraunen Lanze den Reichsadler direkt
berühren.
Gerade an diesem Bild läßt sich die Absicht der Geldgeber und sicherlich
auch die des Malers deutlich zeigen: Der Versuch einer Anknüpfung an das
staufische Mittelalter unter Umgehung der Habsburger-Zeit war eines der
großen Ziele der Deutschen Kaiser nach der Reichsgründung von 1871. In
diesem Sinne läßt sich der einköpfige schwarze Adler auch als Vorausdeutung
des preußisch-deutschen Wappentieres interpretieren. Eine Erinnerung daran
hat auch in Marburg überdauert: Eine der beiden Spitzen des eleganten
Treppenturms, der das Hauptgebäude der Alten Universität überragt, wird
nicht etwa durch einen Wetterhahn gekrönt, sondern durch den preußischen
Adler. Die in dieser Zeit übliche Umfunktionierung der missionierenden
Ordensritter zu in modern nationalem Sinn verstandenen deutschen
Kulturträgern im Osten paßte in die antipolnische "Ostmarkenpolitik" des
wilhelminischen Reiches seit den späten achtziger Jahren des 19.
Jahrhunderts. Selbst der damalige Hochmeister des Deutschen Ritterordens,
der seinen Sitz in Wien hatte, tolerierte die Säkularisierung der Ordensidee
im preußisch-deutschen Sinne. Daß Berlin sich zur selben Zeit für die
Renovierung der Marienburg, des ehemaligen Sitzes der Hochmeister des
Deutschen Ordens, einsetzte, unterstrich diese Tendenz des "Reitens gen
Ostland". Bei den Feierlichkeiten zur Einweihung der restaurierten
Marienburg 1902 demonstrierte Wilhelm II. diese Kreuzzugsidee gegen "den
polnischen Übermut", wie er in seiner Kaiserrede verkündete, nicht nur
verbal, er leitete auch als Protektor der Johanniter einen Festzug.
Sicherlich deuteten ausländische Zeitungen dieses Verhalten richtig, wenn
sie mehr darin sahen als ein Kostümfest aus Anlaß einer Einweihung.