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Deutschlands erster und bereits ganz großer Staatsmann war Armin der
Cherusker, und zwar zu einer Zeit, als es weder den Begriff, noch
die Vorstellung von "Deutschem" im Kopf und Herz der germanischen
Welt gab. Ja, es gab noch nicht einmal die Vorstellung einer
"germanischen Welt"; denn die Stämme, die zwischen der Maas und der
Memel, zwischen dem Skagerrak und den Alpen siedelten, erkannten
sich wohl an der Sprache als verwandt; aber sie empfanden sich
keineswegs als völkische Einheit; im Gegenteil: sie bekämpften
einander, wo sie nur konnten. Eine uralte, leidige Weise!
Man vergegenwärtige sich die Lage zur Zeit von Christi Geburt: das
Römische Reich, durch Sulla geeint, durch Julius Cäsar zum Herrn des
gallischen Nordens gemacht, durch Augustus geordnet und an der
Rheingrenze stark befestigt, steht als machtvoller Block den
zusammenhanglosen germanischen Siedlungen gegenüber und treibt seine
eisernen Keile ins lockere rechtsrheinische Stammgefüge vor. Drusus
ist schon vor einem halben Menschenalter bis ins heutige Anhalt,
sein Bruder Tiberius ist vor kurzem bis an die Niederelbe
vorgestoßen und hat dort die Langobarden besiegt. Die Nordseeküste
zwischen den Mündungen von Rhein und Elbe liegt seit geraumer
Zeit unter Roms Einfluß und Handelsherrschaft; im deutschen Süden
bilden Donau, Neckar und der westliche Mainbogen die Grenze des
Imperiums. Links vom Rhein sind zwei germanische Provinzen -
Obergermanien zwischen Genfer See und Mosel, Niedergermanien von der
Mosel bis zu den Rheinmündungen sich erstreckend - schon seit Cäsars
Tagen unterworfen, sind befriedet, garnisoniert und fest verwaltet;
jetzt gilt es, die dritte Provinz - Großgermanien, auf den römischen
Karten zwischen Rhein, Main, Saale und Elbe.
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Armin sucht seinen Bruder Flavus an der Weser für die
vaterländische Sache zu bekehren |
eingezeichnet - dem Rutenbündel gefügig zu machen. Schon herrscht
Rom bis an die Weser; der kaiserliche Statthalter Sentius Saturninus,
ein ruhiger, überlegener und vor allem gerechter Mann, ist bei den
Germanen nicht unbeliebt; auf dem Wege "friedlicher Durchdringung"
verwirklicht er die Politik seines greisen Herrn, des weise
gewordenen Augustus, der mit Roms Glanz, Macht und Üppigkeit um die
Riesenkräfte der bespöttelten Barbaren wirbt.
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Arminius bricht an der Spitze seiner Krieger den letzten
Widerstand der Römer |
Auf die germanischen Bauern macht das römische Wesen starken
Eindruck; ihre ländliche Kultur droht der städtischen Zivilisation
des Südens zu erliegen. Schon ist es Brauch geworden, das nordische
Reisläufer in Scharen freiwillig römische Kriegsdienste nehmen;
schon gehört es zum guten Ton, daß germanische Stammesfürsten ihre
Söhne im römischen Heer zu Stabsoffizieren ausbilden lassen oder als
Militär-Attachés, wie wir heute sagen würden, in die Weltstadt am
Tiber schicken. Wohl den mächtigsten Stamm bilden die Cherusker (die
"Schwertmänner"), die unter mehreren einander verwandten Gaufürsten
zu beiden Seiten der Weser sitzen. Von diesen Fürsten ist Sigist (Segestes)
ein ausgesprochener Römerfreund, der sich von Augustus durch die
Verleihung des römischen Bürgerrechts hat ködern und sogar dazu
bestimmen lassen, seinen Sohn Sigmund als römischen Priester ins
große Ubierlager, das heutige Köln, zu schicken, von wo Sigmund
allerdings, dem Vater ganz unähnlich, beim Ausbruch des
Befreiungskampfes zum Heer der Aufständischen entweicht. Sigists
Bruder oder Vetter Ingwiomar, ein überaus draufgängerischer und
wilder Fürst, scheint ziemlich abseits des römischen Machtbereichs
gesessen zu haben, und von dem dritten Gesippen, dem Gaufürsten
Sigmar, wissen wir nur, daß er zwei seiner Söhne zur Ausbildung nach
Rom geschickt hat.
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Quintilius Varus verhüllt sein Gesicht und stößt, das Verderben
vor Augen,
sich selbst das Schwert in die Brust |
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Die heimatlichen Namen dieser Söhne sind uns nicht überliefert; den
Jüngeren nannten die Römer Flavus, den Blonden; er blieb dem
Römertum verfallen und kämpfte später als Tribun gegen die eigene
Heimat. Der Ältere nimmt als Offizier an des Tiberius langwierigem
Feldzug gegen die Aufständischen in Pannonien, dem heutigen Ungarn,
teil und wird ob seiner Verdienste, daneben wohl auch aus Gründen
politischer Berechnung, mit der Ritterwürde bedacht und ins
ritterliche Geschlecht der Arminier aufgenommen unter dem Namen
Gaius Julius Arminius.
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Sigmund, der Sohn Sigists und römischer Priester,
greift zu den Waffen für die Freiheit seines Volkes |
Das Dunkel, das über seinem deutschen Namen liegt, wird sich kaum
aufhellen. Manche meinen, er habe. im Zuge der zumeist mit Sig-
gebildeten Namen seiner Sippe, Sigfried geheißen und sei das Urbild
der deutschen Sagengestalt; andere vermuten, er habe nach dem
germanischen Licht- und Schwertgott Irmin den Namen Ermino getragen
und habe im Anklang hieran sich seinen römischen Ritternamen
ausgesucht. Auf keinen Fall aber hat er Hermann geheißen; diesen
wesentlich jüngeren Namen hat ihm erst der um Verdeutschung bemühte
Dichter Klopstock verliehen, in dessen Nachfolge dann Kleist seine "Hermannsschlacht"
schrieb.
Drei Jahre lang schult sich Armin in römischen Diensten; als
Fünfundzwanzigjähriger kehrt er im Jahr 7 n. Chr. in die Heimat
hinterm Waldgebirge der Asen-Egge, des heutigen Osning, zurück;
wahrscheinlich hat der Tod des Vaters ihn auf den erledigten
Hochsitz des Gaufürsten heimgerufen. Als hoher römischer
Reiteroffizier, als Meister jeglicher Diplomatie, genialer
Verstellungskunst und weltmännischer Umgangsformen taucht der
Jungfürst in seinem Gau auf, und mancher heimattreue Cherusker
betrachtet ihn zunächst voll Mißtrauens, während Oheim Sigist voller
Stolz, seine fünfzehnjährige Tochter Thursinhilt ("die
Riesenbekämpferin") voll schwärmerischer Bewunderung auf den
verrömerten Neffen und Vetter blicken.
Zwischen Rhein und Weser hat sich inzwischen vieles geändert, und
nicht zum Besseren. Der Statthalter Sentius Saturninus ist vor etwa
einem Jahr mit den rheinischen Legionen auf den pannonischen
Kriegsschauplatz abgerückt, und an seiner Stelle ist Publius
Quintilius Varus über die germanischen Provinzen gesetzt worden: ein
Weltmann ohne Menschenkenntnis, der sich als Statthalter von Syrien
verweichlicht und bereichert hat. Als Schwager des Kaisers Augustus
glaubt dieser Mann, der mehr Verwaltungsjurist als Soldat ist, seine
neuen Provinzen nach syrischem Muster mit dem römischen Recht
beglücken zu müssen. Wachsende Wellen der Empörung rollen durch das
mißachtete Land, und Armin findet bei seiner Heimkehr überall
murrende Unzufriedenheit.
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Thusnelda mit ihrem Sohne Thumelikus im Triumphzuge des
Germanikus |
Ob er schon in Rom an einen Befreiungskampf der Heimat gedacht hat,
wissen wir nicht; wohl aber dürfen wir annehmen, daß seine
Römerfreundlichkeit, die er ganz besonders dem kurzsichtigen Varus
gegenüber an den Tag legte, von Anfang an durch meisterhafte
Verstellung vorgetäuscht worden ist; dann unmittelbar nach seiner
Heimkehr muß er damit begonnen haben. die Stämme Großgermaniens
gegen die Fremdherrschaft aufzuwiegeln; andernfalls hätte er das
gewaltige Werk der Massenerhebung nicht binnen zwei Jahren restlos
vorbereiten können. Welchen Maßes von Verzicht, Diplomatie,
Überredungskünsten und listigster Schauspielerei es dazu bedurft
hat, ist schwer vorstellbar! Armin mußte nicht nur den Statthalter
und seine sicherlich nicht dummen Stabsoffiziere jahrelang hinters
Licht führen; er mußte auch den mißtrauischen Sigist beharrlich
täuschen und den ungebärdigen Ingwiomar, der sich als der Ältere zur
Führung des Befreiungskampfes berufen fühlte, gütlich in die
gegebenen Schranken weisen. Er mußte, um einen erfolgversprechenden
Ausgleich für die bessere Bewaffnung und straffere Disziplin der
römischen Legionen zu schaffen, eine große Anzahl von weit zerstreut
siedelnden germanischen Stämmen für den Vernichtungsschlag gewinnen;
er mußte sich - und das war sicherlich das schwierigste Unterfangen!
- von den Fürsten all dieser Stämme zum zum Herzog küren lassen und
sie durch stärkste Eide auf Verschwiegenheit verpflichten! Er
mußte die Heeresgemeinden der Stämme auf die römische Taktik hin
schulen und besser bewaffnen, mußte schließlich Tag und Ort des
Losschlagens rechtzeitig sinngemäß bestimmen. Eine riesige,
unermeßliche Leistung, die uns die höchste Bewunderung abnötigt;
denn sie wurde vollbracht von einem Mann, von einem leidenschaftlich
glühenden Herzen, von einem eisklaren, überlegen denkenden Hirn!
Im August des Jahres 9 n. Chr. standen Mannschaften von mindestens
zwölf großen Stämmen zwischen Rhein und Elbe kampfbereit und
warteten auf die Feuerzeichen zu Marsch und Angriff: ein Volk hatte
sich erhoben, ohne zu wissen, daß es als Volk auftrat! Germanien hat
sich damals seine Freiheit erkämpft und seine völkische Eigenart
bewahrt gegenüber der römischen Woge, die nunmehr am Rhein zum
Stillstand kam. Daß wir heute deutsch sprechen und deutsch fühlen,
deutsch denken und deutsch handeln, das verdanken wir dem Werk jenes
Cheruskerfürsten, dessen deutschen Namen wir nicht kennen. Ohne
seine Großtat wären wir romanisiert, wie es die Spanier und
Franzosen heute sind.
Unmittelbar nach der Vernichtungsschlacht im Teutoburger Wald muß
der jugendliche Sieger das Reich der Deutschen vor dem inneren Blick
erschaut haben; denn in jener Stunde, wo er die Heeresmacht aller
west- und norddeutschen Stämme begeistert hinter sich wußte, war für
ihn der Augenblick gekommen, dem südlichen Imperium ein Nordreich
entgegenzustemmen und zum Großangriff auf Gallien über den Rhein
vorzustoßen! Das Haupt des Varus, von Armin an den Markomannenkönig
Marbod nach Böhmen gesandt, sollte rufen: Brich du mit der ganzen
Macht ostdeutschen Swebenbundes in die Donauländer ein, entfache den
knapp gestillten Aufstand in Pannonien aufs neue und dringe durch
Illyrien gegen Italien vor! Armin wird durch Gallien marschieren: so
packt ihr um die Alpen herum das Imperium von Ost und West wie mit
einer Zange, und die Welt gehört euch Deutschen! Aber der erste
deutsche Staatsmann hat indes noch kein Deutschland hinter sich.
In Rom freilich erkennt man die tödliche Gefahr, die dem Imperium
von seinem Schüler Armin droht; das beweisen die überstürzten
Abwehrmaßnahmen des Kaisers, der als Zweiundsiebzigjähriger vor dem
Siebenundzwanzigjährigen zittert. Voll schier ungläubiger
Erleichterung mag Augustus aufgeatmet haben bei der Nachricht, daß
die Germanen, diese Dummköpfe, ihren großen Sieg nicht auszunutzen
gedenken, und daß sein Stiefsohn Tiberius bereits Ordnung und
Sicherheit am Rhein wiederhergestellt hat!
Und dann beginnt fünf Jahre später , von Arnim vorausgesagt, das
blutige Spiel von neuem: in den Sommermonaten der Jahre 14, 15 und
16 stößt der junge Statthalter Germanicus mit gewaltiger Heeresmacht
- im Jahr 16 mit rund 80000 Mann - nach Innergermanien vor, und
Arnim, jetzt wieder der Retter in der Not, muß dem kühnen Kaisersohn
eine Reihe von Schlachten liefern, gegen welche die Varusschlacht
ein Gefecht zu nennen ist. Im Verlauf dieser Kämpfe verliert der
Herzog das Teuerste, was er zu eigen hat: sein Weib Thursinhilt und
sein eben geborenes Söhnchen werden ihm vom wütenden Schwiegervater
heimlich geraubt! Sigist stellt sich mit seiner ganzen Sippe und
Gefolgschaft unter römischen Schutz, und Germanicus schickt diese
lebenden Pfänder nach Rom, wo der verblendete Gaufürst später, im
Frühjahr 17, seine eigenen Kinder Sigmung und Thursinhilt im -
übrigens unverdienten - Triumphzug des Germanicus, zu dem an dem
Bürger Sigist einen Ehrenplatz eingeräumt hat, als Gefangene
aufgeführt erblicken muß! Der griechische Geograph Strabo hat als
Augenzeuge über diesen Aufzug berichtet und uns Thursinhilts Namen
in der verstümmelten Form Thusnelda überliefert. Die Spur des
unglücklichen Weibes und ihres Sohnes, den Sippenhaß und das Erbe
seines Vaters betrogen hat, verliert sich in der Gefangenschaft zu
Ravenna.
Im Herbst des Jahres 16 hat Tiberius den Neffen Germanicus
heimberufen und befohlen, daß künftig nur die Rheingrenze zu halten
sei; denn die Eroberung Innergermaniens hat er als undurchführbar
erkannt. Damit steht man beiderseits wieder dort, wo man unmittelbar
nach der Varusschlacht gestanden hat. Armin, durch die Kampferfolge
der letzten Jahre mehr denn je als Herzog der westdeutschen
Markgenossen erhärtet, hat seinen Plan, ein großes deutsches Reich
zu gestalten, keineswegs aufgegeben. Vereinsamt und aus
schmerzvollste gereift, wendet er such, nun er der Angriffe von Rom
ledig geworden, sofort gegen den inneren Gegner des
Einheitsgedankens: kann er nicht mit Marbod verwirklicht werden, so
muß er über den eigensinnigen Markomannen hinweg zur Verwirklichung
gelangen!
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Der ermordete Arminius wird mit seinem Streitroß nach alten,
geheimnisvollen Bräuchen verbrannt |
Im Mai des Jahres 17, während Germanicus in Roms Straßen, seine fünf
Kinder vor sich auf der goldenen Quadriga, mehr über Thursinhilt als
über ihren Gemahl triumphiert, ziehen die endlosen germanischen
Heeressäulen einander aus Westdeutschland und Böhmen entgegen, und
auf der weiten Ebene südlich vom heutigen Leipzig kommt es zur
größten Schlacht in Armins Leben. Sie verläuft unentschieden; doch
der gealterte Marbod räumt das Kampffeld und rückt nach Böhmen ab,
von wo er bald danach vertrieben wird. Im römischen Exil - ebenfalls
zu Ravenna - verbringt er, halb Scheinkönig, halb Geißel, noch
achtzehn ruhmlose Jahre.
Armin aber steht jetzt vor der Vollendung seines kühnen Planes; alle
deutschen Stämme unter seiner Herrschaft zu einigen. Da fällt er im
Jahr 19, zehn Jahre nach der Varusschlacht, mit siebenunddreißig
Jahren unterm Dolch des Mörders, den die eigene Sippe gegen ihn
gedungen, weil sie erbittert das Führertum eines einzelnen
bestreitet. Mit Armin fällt für Jahrhunderte die Hoffnung auf ein
einiges Deutsches Reich.
Die Bilder, die unsere Betrachtung begleiten, sind Wiedergaben der
Wandgemälde im Rathaussaal der Stadt Krefeld; sie stammen von dem
Düsseldorfer Akademieprofessor Dr. Peter Janssen (1844-1908) und
sind in den Jahren 1871-1874 entstanden. Starkem kompositorischem
Vermögen gesellt sich in ihnen eine liebevolle Versenkung in die
frühe deutsche Geschichte und in die Lebensformen unserer Ahnen. -
Janssen hat sich hinsichtlich der Trachten sorglich an den damaligen
Stand der Forschung gehalten, von dem die heute vorliegenden
Ergebnisse nur unwesentlich abweichen. Auch spielen einige
darstellerische Irrtümer angesichts des künstlerischen Werts der
Gemälde keine große Rolle. Immerhin sei festgestellt, daß sich beim
Heer des Varus nicht, wie auf dem Bilde sichtbar , vornehme
Römerinnen befunden haben; diese Damen saßen in der Etappe zu Trier,
und beim Heer befanden sich nur Troßweiber. Ferner berichtet
Tacitus nichts davon, daß Arnim bei seinem berühmten Gespräch mit
dem Bruder Flavus diesem bei Idisiaviso über die Weser
entgegengefahren sei; das hätte für den Vernichter des Varus sehr
unangenehme Folgen haben können! Tatsächlich haben sich die Brüder
ihre Grobheiten von Ufer zu Ufer zugebrüllt. - Schließlich sei noch,
zum Bilde von Arnims Leichenbegängnis, angemerkt, daß unsere
Vorfahren keinen eigenen Priesterstand, geschweige denn
Priesterinnen, gekannt haben; die gegenseitige Meinung beruht auf
einer Verwechslung mit den keltischen Druiden und mit den römischen
Bestalinnen. Bei den Germanen war jeder Hausvater auch der "Gode"
seiner Sippe, der Gaufürst gleichzeitig Gode seines Gaues; die
Frauen hatten keinerlei priesterliche Würden. Daß die Goden in
langwalligen Gewändern und mit Kränzen auf dem Haupt ihre Opfer
darbrachten, dafür sind Anhaltspunkte nicht vorhanden.
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Marbod, der König der Markomannen, ein Verräter der Deutschen, im
Gefängnis zu Ravenna |
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