Das einst blühende Wirtschaftsleben der Stadt hatte am Ende des 15.
Jahrhunderts seinen Höhepunkt überschritten. Die Landesfürsten
erweiterten ihre Macht auf Kosten des Reiches immer mehr. Diese
Verhältnisse führten zu tiefgreifenden Umwälzungen in der ökonomischen
Lage und zu einschneidenden Änderungen im innerdeutschen Handel. Im
Verlauf dieser Entwicklung versuchte auch Kurmainz, seine alte, längst
verlorene Stellung in Erfurt wieder zu festigen. Politische
Verwicklungen mit Kursachsen und Kurmainz traten ein, in denen die Stadt
unterlag. Erfurt mußte die Oberhoheit des Kurfürsten von Mainz erstmalig
vertraglich anerkennen und an die beiden Sieger eine Entschädigung von
200 000 Gulden zahlen. Diese Last und andere finanzielle Verpflichtungen
beliefen sich schließlich auf 550 000 Gulden und führten 1509 zur
Zahlungsunfähigkeit der Stadt.
Die dadurch drohenden steuerlichen Belastungen
und die Verpfändung des wertvollen Reichslehens Kapellendorf lösten
einen Aufstand großer Teile der Gemeinde gegen den selbstherrlichen Rat
der Stadt aus. Vorzugsweise wendete sich der Zorn des Volkes gegen den
Obervierherrn Heinrich Kellner, der als das Haupt und die Seele der
Rathspartei galt,und dem man vorzugsweise die Verpfändung von
Kapellendorf zur Last legte. Als demselben im versammelten Rathe von den
Deputirten der Bürgerschaft mit Bitterkeit vorgeworfen wurde: er habe
ohne Wissen und Willen der Bürgerschaft Kapellendorf veräussert, stand
er auf, schlug an seine Brust und rief: Wer ist die Gemeinde? Hier steht
die Gemeinde! Ein solches Wort, erwiderten die Abgeordneten, geziemt
einer Gemeinde nicht zu leiden... Kellner wurde ergriffen und nachdem er
lange im Gefängnisse geschmachtet, ... am 28. Januar 1510 hingerichtet.
Erst 1516 gelang es dem Obersten Ratsmeister
Adolarius Hüttner und, dem auf dem zweiten Türbild dargestellten Henning
Goede "den Frieden in der Gemeinde wieder herzustellen."
Janssen stellt in seinem Bild den dramatischen
Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen Rat und aufgebrachten Bürgern
dar. Die Anführer und ein Teil der Volksmenge sind in den Sitzungssaal
eingedrungen: die zersplitterten Teile des Treppengeländers zeugen von
einem gewalttätigen Einbruch (unten rechts). Durch einen Bürgervertreter
zur Rechenschaft gefordert, scheint Kellner gerade das verhängnisvolle
Wort "Hier steht die Gemeinde" gesprochen zu haben, denn der jüngere
Bürgervertreter, der mit der Rechten auf den Obervierherrn weist,
spricht mit dieser Geste seine Gefolgsleute an, als wollte er sagen:
Hört euch das an! Das Gemälde überspitzt demnach das Geschehen zu einem
Zugleich der Aktion, dem Einbruch der Aufrührer mit der Forderung nach
Rechenschaft, und der Reaktion, die sich in der berühmten Äußerung
Kellners und der Geste des auf ihn weisenden Handwerkers zeigt.
Sechs Aufrührer - man vergleiche die Bildecke
unten rechts - drohen mit wütendem Gesichtsausdruck und entsprechenden
Gebärden der Ratsversammlung, wobei einer der Eindringlinge ein
ausgerissenes Stuhlbein gegen die Ratsherren schwingt. Rechts über
dieser Gruppe sind weitere Aufrührer zu sehen, darunter noch ein
Knüppelschwingender im Hintergrund. Die Anführer der aufgebrachten Menge
stehen schon, zu viert einen Block bildend, innerhalb der Tische, an
denen die Ratsherren sitzen. Der mittlere Bürgervertreter, ein schon
älterer Handwerker mit Bauchansatz und weißer Schürze, weist mit dem
rechten Zeigefinger in ein Buch, das er auf der linken Hand und zur
Ratsversammlung hin so aufgeschlagen vor sich hält, daß diese selbst die
entscheidende Stelle lesen soll: wahrscheinlich die Summe, deren
Veruntreuung dem Rat vorgeworfen wird. Mit süffisant hochgezogenem Mund
bekräftigt der Handwerker auch mimisch seine Forderung.
Hinter ihm wird rechts ein Kapuzenträger
sichtbar, vielleicht ein von der Menge fanatisierter Mönch, der mit
geöffnetem Mund erregt auf Kel1ner starrt. Vor dem weißbeschürzten
Handwerker steht ein anderer Bürgervertreter. Mit ruhig auf dem Rücken
zusammengelegten Händen schaut er erwartungsvoll Kellner hinter seinem
Tischpult an. Doch der jüngere Bürgervertreter mit dem erhobenen rechten
Arm weist schon auf den Obervierherrn als den Hauptschuldigen. Noch
scheint dieser kaum geendigt zu haben, denn sein rechter Zeigefinger
weist auf die Brust, das "Hier steht die Gemeinde" nachdrücklich
unterstreichend.
Leicht vorgebeugt und so wie seine Gegner die
sitzenden Ratsherren überragend, ist Kellner auf der den Aufrührern
gegenüberliegenden Seite der zweite Blickpunkt des Bildes. Kellners
leicht in den Nacken geworfener Kopf mit dem kräftigen Schnauzbart und
die noch eben wie im Sprechen geöffneten Lippen charakterisieren ihn
einprägsam als Haupt der führenden Ratspartei. Vor ihm und seitlich zu
beiden Seiten hinter ihm sitzen an den Tischen die in verschiedenen
psychischen Reaktionen gezeigten Ratsherren. Sie lassen sich im
wesentlichen in zwei Gruppen gliedern: die Gruppe im Vordergrund des
Bildes, die in ihrem Verhalten auf die treppenstürmenden Aufrührer
bezogen ist, und die Gruppe im Mittelgrund, die gespannt der
Auseinandersetzung zwischen Kellner und den Bürgersprechern folgt.
Mit dieser differenzierenden Behandlung in der
Menschendarstellung folgt Janssen der durch den gewählten
Handlungsablauf gegebenen inneren Logik. Denn die vorne zu den
Aufrührern schauenden Ratsherren fühlen sich unmittelbar bedroht und
neigen sich dementsprechend in die entgegengesetzte Richtung. Die links
vor Kellner eng zusammensitzende Dreiergruppe vermittelt gleichsam zum
Mittelgrund. Während die zwei dem Betrachter näher Sitzenden zur
Bildmitte sehen, schaut der Ratsherr mit dem an Luther erinnernden
Gesicht fragend mehr in Richtung der vorne rechts hereinstürmenden
Aufrührer. Die Ratsherren des Mittelgrundes fühlen sich nicht gefährdet.
Infolgedessen blicken sie eher nachdenklich und teils
wohlwollend-lächelnd auf die ihre Rechte vertretenden aufrührerischen
Bürger. Unter den dergestellten Ratsherren finden sich Gesichter - der
junge Ratsherr mit den langen Locken rechts von Kellner -, die an Dürer
oder - der Ratsherr, der den Kopf in die Hand stützt -, die an Luther
oder allgemein an Porträts etwa Cranachs erinnern, wie der beschattete
Kopf im Hintergrund vor dem mittleren Wandpfeiler. In den Kostümen sind
die Ratsherren mit den aufwendigen Schauben, bei denen Pelzbesatz,
geschlitzte Ärmel und uertvolle Überwürfe modische Akzente setzen, den
betont einfach meist mit Wams und Schurz bekleideten Handwerkern
gegenübergestellt. Die Szene spielt in einem durch eine einfach
gegliederte Wand nach hinten abgeschlossenen Raum, der sich im äußeren
Bildviertel rechts zu einer Art Treppenvorraum in die Tiefe öffnet.
Durch im übrigen weitgehenden Verzicht auf Tiefenwirkung im Räumlichen
und das Zusammengedrängtsein der Figuren im Vorder- und Mittelgrund
gewinnt die Szene an Unmittelbarkeit und Dramatik.