Und das Hauptbild dieser Wand zeigt wiederum das edle Wirken der Frau,
wie sie durch liebreiche Spenden die Not der von Hunger und Frost
bedrängten Armen zu mildern sich müht.
Das dritte Hauptbild
ist durch Fenstereinbrüche im unteren Teil stark in der Grundfläche
verändert: aus dem langen Rechteck ist eigentlich ein mittleres
Hochformat mit seitlich angesetzten, um die Höhe des Oberteils der
Fensternischen verkürzten niedrigeren Querformaten geworden. Auf diesem
eigenartig begrenzten Bildfeld hat Janssen im wesentlichen so
gearbeitet, als ob das Bild ein normales Querformat sei. Lediglich die
Häufung der Menschen im mittleren Teil des Gemäldes scheint der Künstler
geradezu für eine der von ihm so geschätzten Massenszenen ausgenutzt zu
haben. Es ist klar, daß dadurch das Schwergewicht der Komposition
hierhin fallen mußte.
Das Gemälde zeigt uns
das Innere eines Burghofes: im Vordergrund links erblickt man als Teil
eines größeren Gebäudekomplexes einen überwölbten Toreingang, der sich
mittels einer zweiarmigen Treppe auf den Burghof öffnet. Zum rechten
Bildrand hin verläuft ein überdachter Wehrgang über einer mit großen
nischenartig vertieften Blendbogen gegliederten Mauer. Er stößt an einen
Wehrturm, an dem oben ein Erkerausbau sichtbar wird, und setzt sich im
rechten Winkel von der anschließenden Turmseite aus fort. Der Burghof
steigt zu diesem Turm hin leicht an. An baulichen Einzelheiten, z.B. den
Konsolen und dem Rundbogenfries im Vordergrund oben links, den
Rundbogenblenden über den Türstürzen im Tordurchgang bzw. außen vor dem
Strebepfeiler, läßt sich erkennen, daß sich Janssen eine romanische
Burganlage als Handlungsort seines Gemäldes gedacht hat.
Es ist Winter, der
Burghof, das Dach des Wehrgangs, die Fensterbänke und Gesimse sowie der
hinten im Hof stehende Baum mit seinen kahlen Ästen sind von Schnee
bedeckt. Die winterliche Not unter den Armen bedenkend, ist die
Burgherrin mit ihrem Gesinde auf die Freitreppe getreten, um an das dort
sich sammelnde, notleidende Volk Brot zu verteilen. Die Herrin selbst
steht optisch im Mittelpunkt des Bildes auf der Treppe. In einem
pelzgefütterten Mantel, die hell-dunkel gestreifte Haube auf dem Kopf,
beugt sie sich freundlich lächelnd über die Steinbrüstung der Treppe und
reicht gerade ein Brot mit der rechten Hand nach unten. Mit der Linken
hält sie weitere Brotlaibe vor dem Körper fest. Unmittelbar hinter der
Burgherrin sieht man ihre Helferinnen und Helfer. So greift die mit
einer großen weißen Haube und gepufften Ärmeln bekleidete junge Frau
hinter der Burgherrin - wegen der besonderen Kleidung vielleicht ihre
Tochter -gerade in den ihr von einem sehr großen Mann hingehaltenen
Korb, um ein Brot daraus zu nehmen. Der Träger des Korbes ist eigenartig
gekleidet. Um den Leib hat er elnen Fellschurz und über dem Oberkörper
ein gugelartiges Kleidungsteil gegen die Kälte. Dabei schaut der Mann
mit freundlicher Miene auf seinen Korb. Im Raum zwischen dem Mann und
der jungen Frau erblickt man einen zweiten Helfer: er hat den ihn
überragenden hochwendigen Strohkorb mit Broten auf die linke Schulter
gestützt und hält ihn dort mit beiden Händen fest, den Kopf zur Seite
geneigt. Dieser ist beschattet, da der Mann einen breitkrempigen Hut
trägt.
Vorne links steht eine
junge Frau mit Häubchen und einem, wie die Ärmel zeigen, in Schlitzmode
gehaltenen Kleid; ihrer Kleidung nach zählt wohl auch diese Helferin zur
Oberschicht der Burgbewohner. Die junge Frau hat man sich auf den
obersten Treppenstufen stehend zu denken. Sie verteilt auf dieser Seite
Brote, die sie aus der dazu um den Leib gehaltenen Schürze holt, an die
vor ihr stehenden Menschen. Wir sehen ihre Köpfe und Schulteransätze
vorwiegend seitlich von hinten: es sind zwei Männer im Hintergrund, der
eine mit einem Schirmhut, weiter davor eine Frau mit Haube, eine andere
-ganz links -mit gestreiftem Kopftuch und vor der brotverteilenden
Helferin ein Mann mit langem Haar. Über dieser Gruppe erscheint, ein
"Bild des Lebens", eine im Tordurchgang nach vorne kommende dralle Magd,
um in ihren vor der Brust gekreuzten Armen noch Brotlaibe heranzutragen.
Sie trägt eine Haube auf dem Kopf und lächelt behäbig.
Wenden wir uns nun
zurück zur Mittelgruppe seitlich und unterhalb der Burgherrin. Die
Hauptmenge der um Brot anstehenden Menschen befindet sich meist als
Rücken- oder Seiten-Rückenfigur vor der Brüstung der Treppe dargestellt,
doch schließt sich auch seitlich hinter der Burgherrin ein großer Kreis
von Menschen an, die man von vorne sieht. Im Vordergrund, vom unteren
Bildrand überschnitten, erblicken wir vorne links zunächst eine Frau im
Profil mit Kopftuch, die ihre Schürze offen vor sich hält. Rechts neben
ihr ein kleiner Junge, den die ältere Schwester weiter rechts kräftig
unter den Arm faßt. Sie blickt mit halber Wendung auf den Jungen, der
sich zur Wehr setzt, hält sich aber gleichzeitig in der Reihe. Neben den
beiden jungen Menschen steht eine Alte. Sie trägt über Kopf und
Schultern ein grobes Tuch und zeigt ihr Gesicht im verlorenen Profil.
Mit durchfurchten Zügen und vorgeschobener Unterlippe steht sie ein
wenig hilflos dar, die Hände geöffnet und bittend t! erhoben.
Vor dieser Frau, sie
ein wenig überschneidend, wartet eine Mutter mit ihrem Kind auf dem Arm.
Es ist eine jüngere Frau mit heller, in einem Knoten endender Haube. Das
Kind liegt mit einem herabhängenden Arm und geschlossenen Augen über
ihrem linken Arm, und die Mutter schaut über die Schulter hin mit
wehmütigem Ausdruck zu ihm. Rechts neben dieser Frau ist ein Mann
mittleren Alters herangehumpelt. Mit seinem linken Arm greift er in eine
Krücke und beugt sich dabei nach vorne. Im Winkel vorne rechts dann noch
der mützenartig bedeckte Kopf einer Frau im Profil, deren eine Hand wie
nach einem Brot schon leicht nach vorne greift. Vor dieser ersten, teils
schon in sich schon etwas überschnittenen Reihe stehen die näher an die
I~auer gerückten Menschen. Links zunächst ein jüngerer Mann, der seine
linke Hand auf die Seitenwange der Treppe legt und mit der erhobenen
Rechten seinen Wunsch nach Brot ausdrückt. Etwas seitlich rechts von ihm
ein Mann, der um den Oberkörper ein Cape mit über den Kopf gezogener
spitzer Kapuze trägt, weiter rechts von diesem eine geschwächte alte
Frau. Ihr im verlorenen Profil sichtbar werdendes Gesicht zeigt einen
altersmäßig verzogenen Mund und eine spitze Nase. Die Frau streckt ihre
hageren Hände nach dem Brot aus, das die Burgherrin herabreicht, aber
ihr Kopf verharrt, anscheinend von Gicht gezeichnet, in starrer Haltung
geradeaus. Diese alte Frau überschneidet weitgehend den Oberkörper und
Kopf eines jüngeren Mannes rechts hinter ihr, der eine Art Kapuze trägt
und nach oben blickt. Seitlich unter ihm wendet sich ein Mädchen nach
vorne, das seinen Brotlaib bekommen hat und sofort herzhaft-hungrig in
die Kante beißt. Zwischen dem Mädchen und über dem Krüppel sieht man
eine ihr Baby hochhaltende junge Frau mit dem Kopf im Profil, die eine
weiße, in einem Schleier endende Haube trägt und intensiv in Richtung
der Burgherrin blickt, der sie sich auch mit dem hochgehaltenen
Kleinkind wohl als besonders bedürftig bemerkbar machen will.
Hinter dem
hochgehaltenen Baby ist der Oberkörper einer alten Frau mit Pelzmütze
von vorne sichtbar. Das runzelige Gesicht, das in Dreiviertelansicht
nach links erscheint, ist ein wenig den Menschen an ihrer rechten Seite
zugewandt. Seitlich hinter dieser Frau stehen die Menschen teils schon
auf der Treppe, um sich von dort an die Burgherrin heranzudrängen. Unter
ihnen erblicken wir hinter einem bärtigen Kopf ein Kind mit flehentlich
blickenden Augen, geöffnetem Mund und erhobenen Armen. Darüber, mit dem
Oberkörper über der Brüstung zu erkennen, ein junges Mädchen mit
gestreiftem Oberteil und ebensolcher Kopfbedeckung. Es hält die Hände
bittend geöffnet und blickt auch mit "sprechenden Augen" und leicht
offenem Mund auf die Burgherrin. Im Raum zwischen dieser und dem Kind
zeigt sich dann noch das merkwürdig eindringliche Gesicht eines alten
Menschen, ob Mann oder Frau, ist nicht zu entscheiden. Es wirkt
runzelig, der Mund ist schief verzogen, und ein mit hochstehender Krempe
versehener Hut gibt dem Kopf etwas Bettelhaft-Abenteuerliches.
Während die auf der
Treppe stehenden Menschen den Kreis von der Burgherrin zu den unten
befindlichen schließen, wird er rechts noch von einigen Menschen
erweitert. Unten links von der Fensterrahmung ein Paar im Profil: vorne
der Mann mit flachem, sehr breitkrempigem Hut, neben ihm die Frau mit
quergestreiftem Oberteil. Über dieser Gruppe und dem Kopf der Frau mit
dem Kleinkind fällt der Blick auf einen in ein Tuch gehüllten
Frauenkopf, ein zuversichtlich zu der Burgherrin aufblickendes Gesicht.
- Dahinter dann, durch den Schnee des Hofes hinzukommend oder -
humpelnd, weitere mit Kopftüchern, Hauben oder Kappen gegen das Wetter
sich schützende junge und alte Menschen. Unter ihnen fällt, etwa vor dem
Rahmen des zweiten Blendbogens der Wehrmauer, die großgewachsene, oben
dunkel vermummte Frau mit einem Kind an der Schulter im Kontrast zu
einer gebückt neben ihr gehenden alten Haubenträgerin auf.
Janssen hat die
Komposition ganz auf den Gegensatz des sich unruhig um die Burgherrin
bewegenden Menschenhaufens, der sinnfällig gleichsam in einem Brotkorb
gipfelt, und den ruhig und schwer dagegenstehenden Burgbau gestellt.
Während im Vordergrund bei den Menschen ein fleckhaftes Gewimmel heller
und dunkler Töne herrscht, gliedert sich der architektonische
Hintergrund regelmäßig im Rhythmus der schattigen Fensterhöhlen, der
Bogenstellungen und der Holzbalken des Wehrgangs. Auch der schattige
Raum des Toreingangs vorne und die im Schatten liegende Seite des Turmes
hinten, zu denen die gestuften Dunkelheiten des Hofportals treten, geben
dem Hintergrund durch die stereometrischen Formen ruhige Festigkeit, da
diese parallel zu den Bildseitenrändern verlaufen. Es gibt keinen
Tiefenblick außer dem in den Burghof, da der Himmel ähnlich wie im
Jagdbild nur in kleinem Ausschnitt sichtbar wird.
Wie im Bild "In der
Schmiede" hat Janssen auch in der "Brotverteilung" die st8ndischen
Unterschiede zwischen der Burgherrin, ihrern Gefolge und ihrem Gesinde
bzw. den Menschen, die das Brot bekommen, in der Kleidung
herausgearbeitet. Aber nicht nur das. Es geht Janssen wie auch sonst vor
allem um die psychologische Durchdringung der Szene. Man betrachte
daraufhin die verschiedenen Gesichter und Gesten: die freundliche
Burgfrau, den Gugelträger mit dem Brotkorb, die dralle Magd, im
Vordergrund unten links die ein wenig scheel nach rechts sehende Frau,
die jungen Menschen mit glatter Haut, die alten mit runzeligen
Gesichtszügen und gebrestenhaften Haltungen. Dazu ist das Ganze durch
den die Brotverteilung motivierenden Wintertag von stimmungshaftem Reiz.