Werke von Peter Janssen dem Älteren (1844 - 1908)
Bildbeschreibung zu den Wandgemälden in der Kemenate von Schloß Burg a.d. Wupper
Die Brotverteilung 280 x 613 cm
Quelle
: Dr. Dietrich Bieber, Peter Janssen als Historienmaler (Teil 2)
Rudolf Habelt Verlag GmbH - Bonn 1979
 

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Und das Hauptbild dieser Wand zeigt wiederum das edle Wirken der Frau, wie sie durch liebreiche Spenden die Not der von Hunger und Frost bedrängten Armen zu mildern sich müht. 

Das dritte Hauptbild ist durch Fenstereinbrüche im unteren Teil stark in der Grundfläche verändert: aus dem langen Rechteck ist eigentlich ein mittleres Hochformat mit seitlich angesetzten, um die Höhe des Oberteils der Fensternischen verkürzten niedrigeren Querformaten geworden. Auf diesem eigenartig begrenzten Bildfeld hat Janssen im wesentlichen so gearbeitet, als ob das Bild ein normales Querformat sei. Lediglich die Häufung der Menschen im mittleren Teil des Gemäldes scheint der Künstler geradezu für eine der von ihm so geschätzten Massenszenen ausgenutzt zu haben. Es ist klar, daß dadurch das Schwergewicht der Komposition hierhin fallen mußte. 

Das Gemälde zeigt uns das Innere eines Burghofes: im Vordergrund links erblickt man als Teil eines größeren Gebäudekomplexes einen überwölbten Toreingang, der sich mittels einer zweiarmigen Treppe auf den Burghof öffnet. Zum rechten Bildrand hin verläuft ein überdachter Wehrgang über einer mit großen nischenartig vertieften Blendbogen gegliederten Mauer. Er stößt an einen Wehrturm, an dem oben ein Erkerausbau sichtbar wird, und setzt sich im rechten Winkel von der anschließenden Turmseite aus fort. Der Burghof steigt zu diesem Turm hin leicht an. An baulichen Einzelheiten, z.B. den Konsolen und dem Rundbogenfries im Vordergrund oben links, den Rundbogenblenden über den Türstürzen im Tordurchgang bzw. außen vor dem Strebepfeiler, läßt sich erkennen, daß sich Janssen eine romanische Burganlage als Handlungsort seines Gemäldes gedacht hat. 

Es ist Winter, der Burghof, das Dach des Wehrgangs, die Fensterbänke und Gesimse sowie der hinten im Hof stehende Baum mit seinen kahlen Ästen sind von Schnee bedeckt. Die winterliche Not unter den Armen bedenkend, ist die Burgherrin mit ihrem Gesinde auf die Freitreppe getreten, um an das dort sich sammelnde, notleidende Volk Brot zu verteilen. Die Herrin selbst steht optisch im Mittelpunkt des Bildes auf der Treppe. In einem pelzgefütterten Mantel, die hell-dunkel gestreifte Haube auf dem Kopf, beugt sie sich freundlich lächelnd über die Steinbrüstung der Treppe und reicht gerade ein Brot mit der rechten Hand nach unten. Mit der Linken hält sie weitere Brotlaibe vor dem Körper fest. Unmittelbar hinter der Burgherrin sieht man ihre Helferinnen und Helfer. So greift die mit einer großen weißen Haube und gepufften Ärmeln bekleidete junge Frau hinter der Burgherrin - wegen der besonderen Kleidung vielleicht ihre Tochter -gerade in den ihr von einem sehr großen Mann hingehaltenen Korb, um ein Brot daraus zu nehmen. Der Träger des Korbes ist eigenartig gekleidet. Um den Leib hat er elnen Fellschurz und über dem Oberkörper ein gugelartiges Kleidungsteil gegen die Kälte. Dabei schaut der Mann mit freundlicher Miene auf seinen Korb. Im Raum zwischen dem Mann und der jungen Frau erblickt man einen zweiten Helfer: er hat den ihn überragenden hochwendigen Strohkorb mit Broten auf die linke Schulter gestützt und hält ihn dort mit beiden Händen fest, den Kopf zur Seite geneigt. Dieser ist beschattet, da der Mann einen breitkrempigen Hut trägt. 

Vorne links steht eine junge Frau mit Häubchen und einem, wie die Ärmel zeigen, in Schlitzmode gehaltenen Kleid; ihrer Kleidung nach zählt wohl auch diese Helferin zur Oberschicht der Burgbewohner. Die junge Frau hat man sich auf den obersten Treppenstufen stehend zu denken. Sie verteilt auf dieser Seite Brote, die sie aus der dazu um den Leib gehaltenen Schürze holt, an die vor ihr stehenden Menschen. Wir sehen ihre Köpfe und Schulteransätze vorwiegend seitlich von hinten: es sind zwei Männer im Hintergrund, der eine mit einem Schirmhut, weiter davor eine Frau mit Haube, eine andere -ganz links -mit gestreiftem Kopftuch und vor der brotverteilenden Helferin ein Mann mit langem Haar. Über dieser Gruppe erscheint, ein "Bild des Lebens", eine im Tordurchgang nach vorne kommende dralle Magd, um in ihren vor der Brust gekreuzten Armen noch Brotlaibe heranzutragen. Sie trägt eine Haube auf dem Kopf und lächelt behäbig. 

Wenden wir uns nun zurück zur Mittelgruppe seitlich und unterhalb der Burgherrin. Die Hauptmenge der um Brot anstehenden Menschen befindet sich meist als Rücken- oder Seiten-Rückenfigur vor der Brüstung der Treppe dargestellt, doch schließt sich auch seitlich hinter der Burgherrin ein großer Kreis von Menschen an, die man von vorne sieht. Im Vordergrund, vom unteren Bildrand überschnitten, erblicken wir vorne links zunächst eine Frau im Profil mit Kopftuch, die ihre Schürze offen vor sich hält. Rechts neben ihr ein kleiner Junge, den die ältere Schwester weiter rechts kräftig unter den Arm faßt. Sie blickt mit halber Wendung auf den Jungen, der sich zur Wehr setzt, hält sich aber gleichzeitig in der Reihe. Neben den beiden jungen Menschen steht eine Alte. Sie trägt über Kopf und Schultern ein grobes Tuch und zeigt ihr Gesicht im verlorenen Profil. Mit durchfurchten Zügen und vorgeschobener Unterlippe steht sie ein wenig hilflos dar, die Hände geöffnet und bittend t! erhoben. 

Vor dieser Frau, sie ein wenig überschneidend, wartet eine Mutter mit ihrem Kind auf dem Arm. Es ist eine jüngere Frau mit heller, in einem Knoten endender Haube. Das Kind liegt mit einem herabhängenden Arm und geschlossenen Augen über ihrem linken Arm, und die Mutter schaut über die Schulter hin mit wehmütigem Ausdruck zu ihm. Rechts neben dieser Frau ist ein Mann mittleren Alters herangehumpelt. Mit seinem linken Arm greift er in eine Krücke und beugt sich dabei nach vorne. Im Winkel vorne rechts dann noch der mützenartig bedeckte Kopf einer Frau im Profil, deren eine Hand wie nach einem Brot schon leicht nach vorne greift. Vor dieser ersten, teils schon in sich schon etwas überschnittenen Reihe stehen die näher an die I~auer gerückten Menschen. Links zunächst ein jüngerer Mann, der seine linke Hand auf die Seitenwange der Treppe legt und mit der erhobenen Rechten seinen Wunsch nach Brot ausdrückt. Etwas seitlich rechts von ihm ein Mann, der um den Oberkörper ein Cape mit über den Kopf gezogener spitzer Kapuze trägt, weiter rechts von diesem eine geschwächte alte Frau. Ihr im verlorenen Profil sichtbar werdendes Gesicht zeigt einen altersmäßig verzogenen Mund und eine spitze Nase. Die Frau streckt ihre hageren Hände nach dem Brot aus, das die Burgherrin herabreicht, aber ihr Kopf verharrt, anscheinend von Gicht gezeichnet, in starrer Haltung geradeaus. Diese alte Frau überschneidet weitgehend den Oberkörper und Kopf eines jüngeren Mannes rechts hinter ihr, der eine Art Kapuze trägt und nach oben blickt. Seitlich unter ihm wendet sich ein Mädchen nach vorne, das seinen Brotlaib bekommen hat und sofort herzhaft-hungrig in die Kante beißt. Zwischen dem Mädchen und über dem Krüppel sieht man eine ihr Baby hochhaltende junge Frau mit dem Kopf im Profil, die eine weiße, in einem Schleier endende Haube trägt und intensiv in Richtung der Burgherrin blickt, der sie sich auch mit dem hochgehaltenen Kleinkind wohl als besonders bedürftig bemerkbar machen will. 

Hinter dem hochgehaltenen Baby ist der Oberkörper einer alten Frau mit Pelzmütze von vorne sichtbar. Das runzelige Gesicht, das in Dreiviertelansicht nach links erscheint, ist ein wenig den Menschen an ihrer rechten Seite zugewandt. Seitlich hinter dieser Frau stehen die Menschen teils schon auf der Treppe, um sich von dort an die Burgherrin heranzudrängen. Unter ihnen erblicken wir hinter einem bärtigen Kopf ein Kind mit flehentlich blickenden Augen, geöffnetem Mund und erhobenen Armen. Darüber, mit dem Oberkörper über der Brüstung zu erkennen, ein junges Mädchen mit gestreiftem Oberteil und ebensolcher Kopfbedeckung. Es hält die Hände bittend geöffnet und blickt auch mit "sprechenden Augen" und leicht offenem Mund auf die Burgherrin. Im Raum zwischen dieser und dem Kind zeigt sich dann noch das merkwürdig eindringliche Gesicht eines alten Menschen, ob Mann oder Frau, ist nicht zu entscheiden. Es wirkt runzelig, der Mund ist schief verzogen, und ein mit hochstehender Krempe versehener Hut gibt dem Kopf etwas Bettelhaft-Abenteuerliches. 

Während die auf der Treppe stehenden Menschen den Kreis von der Burgherrin zu den unten befindlichen schließen, wird er rechts noch von einigen Menschen erweitert. Unten links von der Fensterrahmung ein Paar im Profil: vorne der Mann mit flachem, sehr breitkrempigem Hut, neben ihm die Frau mit quergestreiftem Oberteil. Über dieser Gruppe und dem Kopf der Frau mit dem Kleinkind fällt der Blick auf einen in ein Tuch gehüllten Frauenkopf, ein zuversichtlich zu der Burgherrin aufblickendes Gesicht. - Dahinter dann, durch den Schnee des Hofes hinzukommend oder - humpelnd, weitere mit Kopftüchern, Hauben oder Kappen gegen das Wetter sich schützende junge und alte Menschen. Unter ihnen fällt, etwa vor dem Rahmen des zweiten Blendbogens der Wehrmauer, die großgewachsene, oben dunkel vermummte Frau mit einem Kind an der Schulter im Kontrast zu einer gebückt neben ihr gehenden alten Haubenträgerin auf. 

Janssen hat die Komposition ganz auf den Gegensatz des sich unruhig um die Burgherrin bewegenden Menschenhaufens, der sinnfällig gleichsam in einem Brotkorb gipfelt, und den ruhig und schwer dagegenstehenden Burgbau gestellt. Während im Vordergrund bei den Menschen ein fleckhaftes Gewimmel heller und dunkler Töne herrscht, gliedert sich der architektonische Hintergrund regelmäßig im Rhythmus der schattigen Fensterhöhlen, der Bogenstellungen und der Holzbalken des Wehrgangs. Auch der schattige Raum des Toreingangs vorne und die im Schatten liegende Seite des Turmes hinten, zu denen die gestuften Dunkelheiten des Hofportals treten, geben dem Hintergrund durch die stereometrischen Formen ruhige Festigkeit, da diese parallel zu den Bildseitenrändern verlaufen. Es gibt keinen Tiefenblick außer dem in den Burghof, da der Himmel ähnlich wie im Jagdbild nur in kleinem Ausschnitt sichtbar wird.  

Wie im Bild "In der Schmiede" hat Janssen auch in der "Brotverteilung" die st8ndischen Unterschiede zwischen der Burgherrin, ihrern Gefolge und ihrem Gesinde bzw. den Menschen, die das Brot bekommen, in der Kleidung herausgearbeitet. Aber nicht nur das. Es geht Janssen wie auch sonst vor allem um die psychologische Durchdringung der Szene. Man betrachte daraufhin die verschiedenen Gesichter und Gesten: die freundliche Burgfrau, den Gugelträger mit dem Brotkorb, die dralle Magd, im Vordergrund unten links die ein wenig scheel nach rechts sehende Frau, die jungen Menschen mit glatter Haut, die alten mit runzeligen Gesichtszügen und gebrestenhaften Haltungen. Dazu ist das Ganze durch den die Brotverteilung motivierenden Wintertag von stimmungshaftem Reiz.

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